Spirituelle Sorge in Corona-Zeiten

3. „Keyholder“-Treffen der Transferinitiative Aachen im Pilotprojekt „Versorgungsbrücken statt Versorgungslücken“

Menschen in Zeiten der Covid-19-Pandemie rufen mehr denn je nach glaubwürdiger psychosozialer und spiritueller Begleitung, besonders in palliativen Situationen. Das war eine gemeinsame Erkenntnis beim dritten sogenannten „Keyholder“-Treffen der Transferinitiative Aachen, die sich mit verschiedenen Projekten auf spirituelle Sorge in palliativer Begleitung konzentriert. Gemeinsam blickten die Projektverantwortlichen der KatHO, des Diözesancaritasverbandes und der sechs (teil-) stationären und ambulanten Alten- und Pflegeeinrichtungen sowie einer Einrichtung der Eingliederungshilfe auf ein extrem bewegtes und weiterhin bewegendes Jahr zurück. Es zeigte sich: In den zu Jahresbeginn gestarteten Teilprojekten entstanden vor Ort Prototypen von gelingendem Transfernlernen, für welche sich die Wortschöpfung „Care-Labore“ fand. Im aktuellen Prozess gehen die einzelnen Care-Labore zum Jahreswechsel in ihre Implementierungsphase über.

Umgang mit Ungewissheiten

Die pandemischen Begleitumstände haben nicht nur die ganze Care- (Sorge-)Landschaft, sondern darin auch die beteiligten Einrichtungen im Transferprojekt vollkommen unvorbereitet getroffen, so dass es teilweise schwierig bis unmöglich war, die ursprüngliche Projektausrichtung beizubehalten. Der Schutz von und die Sorge für besonders vulnerable(n) Gruppen von Menschen in Corona-Zeiten (z.B. dementiell erkrankte Menschen) war und ist eine immense organisationale Herausforderung. Eine dramatische Paradoxie liegt mitunter darin, dass der Versuch, angemessen auf Risiken zu reagieren, selbst wieder riskant sein kann. Unter großem zusätzlichen Engagement und Kreativität laufen, so berichteten die Verantwortlichen, die Alltagsprozesse der Organisationen weiter, während man sich gleichzeitig und fortlaufend in der Operationalisierung der gesetzlichen Landesverordnungen neu anpassen muss – und dies teilweise weit über die üblichen Belastungsgrenzen hinaus. Mehr denn je braucht es momentan Orte und Räume, so das einhellige Votum, wo miteinander in Ruhe über die teilweise täglich angepassten Entscheidungen und Anweisungen in der Organisation reflektiert und vorausgedacht werden kann. Es geht um einen souveränen Umgang mit Ungewissheiten, „für die es in mehr als 30-Dienstjahren keinen Vergleich gibt“, so die eindrückliche Bemerkung eines anwesenden Einrichtungsleiters.

Im Kernanliegen bestärkt

Es ist das Kernanliegen der Aachener Transferinitiative, für eine spirituelle Begleitung, besonders in palliativen Versorgungsprozessen, in den beteiligten Einrichtungen Sorge zu tragen, Raum zu geben und dieser Sorge Gesicht und Ansehen verschaffen zu wollen. Dieses Kernanliegen wurde rückblickend ausdrücklich bestärkt – gerade im Umgang mit den in Corona-Zeiten nochmals gestiegenen spirituellen Bedürfnissen von Bewohner*innen, Zugehörigen sowie nicht zuletzt auch von Mitarbeitenden und Leitungskräften selbst. Unter der Überschrift „Spiritual Care Momente“ sammeln beispielsweise zwei Einrichtungen (parallel zur Implementierung des halbstrukturierten klinischen Assessmentinterviews „SPIR“) diesbezügliche Erfahrungsnarrative der Mitarbeitenden in Feldlogbüchern und binden diese mit Evaluationen aus hermeneutischen Fallarbeitsprozessen in Gruppendiskussionen zur selbst- und patientenzentrierten Reflexion wieder zurück. Zwei weitere Projekte suchen unter dem Slogan „smells like Teamspirit“ ebenfalls mit der Verwendung von Narrativen aus Feldlogbüchern und der Implementierung klinischer Assessmentinstrumente nach Selbstorganisationsprozessen einer Spiritual Care Teamkultur. Ein weiteres thematisches Paar bilden zwei Teilprojekte, die unter dem Titel „Spiritualität und Lebensführung“ zusammengefasst werden können. In einer Videodokumentation kommen dort Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen selbst in persönlichen Portraits zu Wort. Die Interviews mit ihnen greifen Themen zu ihren spirituell-religiösen Beheimatungen, Wertekontexten und spirituellen Bedürfnissen auf und bringen ihre Erfahrungen und Veränderungen gerade in Corona-Zeiten in Wort und Bild.

Drei Arbeitsbereiche

Neben den oben skizzierten Care-Laboren in den Einrichtungen fanden auf einer übergreifenden Ebene in diesem Jahr turnusmäßige „Keyholder“-Treffen, Workshops und öffentliche Kolloquien statt, mittlerweile in digitaler Form (Bereich 1). Zu Beginn der Pandemie wurde ebenfalls eine Blog-Plattform zum Austausch von Akteuren im Sozial- und Gesundheitswesen gestaltet (www.care-lichtblicke.de), welche auf große Resonanz und Beteiligung stieß, teilweise auch von Studierenden der KatHO (Bereich 2). Als dritte und komplettierende Ebene wird im Januar 2021 eine explorative Interviewstudie mit Betroffenen, Fachkräften und Leitungspersonen unter dem Titel „Spirituelle Sorge in Corona Zeiten“ starten (Bereich 3). Es zeigt sich, so die Bestätigung der beteiligten Einrichtungsverantwortlichen, dass die Begleitumstände der Covid-19-Pandemie, nicht nur einen neuen Sinn für eine spirituelle Lebensgestaltung wachrufen, sondern auch innovative Antworten und Angebote in der Begleitung von Menschen zutage fördern – gerade im Umgang mit Sterben, Trauer und Verlust. Insbesondere der Transferlernprozess der Care-Labore erweist sich als flexible Methodik im Lernen von Organisationen, indem dort und dadurch die subjektiven Erfahrungen und Bedürfnisse (das personale Wissen und humane Kapital) verbalisiert, als organisationales Wissen systematisiert und in der Organisationskultur implementiert werden.

Es bewährt sich rückblickend und vorausschauend, dass das Pilotprojekt auf einem offenen Spiritualitätsbegriff aufbaut, der den religionsgebundenen wie religionsungebundenen Spiritualitäten von Bewohnern wie Mitarbeitern Raum lässt, Stimme verleiht, möglichst viele an spirituellen Themen und Angeboten beteiligt, von ihren Fragen und Erfahrungen ausgeht, und um deren Resilienzstärkung und Selbstwirksamkeit nachhaltig bemüht ist. Es ist, wie bei diesem Treffen bekräftigt wurde, gerade in Corona-Zeiten das Sterben und eine würdige Begleitung, der angemessene Umgang mit Trauer, Verlusten und das Vermissen von Personen und Vertrautem, was ein Bewusstwerden und Besinnen auf das, was uns wichtig und wesentlich ist (und uns oftmals fehlt), fördert und zugleich die Begleitenden herausfordert, angemessene und glaubwürdige Antworten darauf zu suchen und zu geben. Das Jahr 2021 lässt einen spannenden weiteren Verlauf der Aachener Transferinitiative erwarten.

Projektverantwortung am Standort Aachen: Prof. Dr. Rainer Krockauer (Projektleiter) und Johannes Mertens M.A. (Transferreferent): www.versorgungsbruecken.de; www.care-lichtblicke.de

Kontakt: j.mertens@katho-nrw.de

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